Nach breiter öffentlicher Konsultation und umfassender Folgenabschätzung (1) schlägt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in der jährlichen „Rede zur Lage der Union" (16.9.) die Verschärfung des EU-Treibhausgasreduktionsziels bis 2030 von 40 % auf 55 % (ggü. 1990) vor: 'Mit -55 % erfüllen wir die Verpflichtung aus dem Pariser Abkommen, die Erderwärmung auf 2° bzw. besser noch 1,5° zu begrenzen und -55 % stellen einen wichtigen Zwischenschritt auf dem Weg zu einem klimaneutralen Europa bis 2050 dar. Ohne einen ehrgeizigen Reduktionspfad während der nächsten 10 Jahre, wird es für die kommenden Generationen sehr schwierig, das EU-Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2050 zu erreichen.'
Der am 17.9. vorgestellte Entwurf des „Klimazielplan für 2030“ (2030 Climate Target Plan) sowie das dazugehörige, umfangreiche „Impact Assessment“ der EU-Kommission enthalten viele weitergehende Informationen, aber noch nicht alle wesentlichen Details zur inhaltlichen Umsetzung dieses neuen ambitionierten Ziels.
Die EU-Kommission wird unter Einbeziehung weiterer öffentlicher Konsultationen und Folgenabschätzungen den rechtlichen Rahmen für die gesamte Klima- und Energiepolitik bis Juni 2021 überarbeiten, um die Ambitionssteigerung auf -55 % bis 2030 zu erreichen. Mit den derzeitigen Regelungen sind nach Angaben der EU-Kommission rund 45 % Treibhausgasminderung ohne und rund 47 % mit Einbezug der Landnutzung/Forstwirtschaft möglich.
Betrachtung verschiedener Szenarien
Für die Erreichung eines 55 %-Zieles wurden verschiedene Szenarien betrachtet. Diese unterscheiden sich unter anderem bezüglich der angenommenen politischen Instrumente und beziehen sich auf verschiedene EU-Richtlinien und weitere Regularien. Es ist erkennbar, dass sich die Kommission für die Nutzung verschiedener Instrumente ausspricht. Die Ausweitung einer Bepreisung für THG-Emissionen über den heutigen Anwendungsbereich des EU-ETS ist dabei ein wesentlicher Bestandteil, steht aber nicht alleine. Zur Erreichung einer 55 %-Minderung bis 2030 sind weitere Zielmarken wichtig, die im Impact Assessment näher erläutert werden, zum Beispiel:
- Steigerung des Anteils der Erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung von zurzeit 32 % auf 65 %. Dies entspricht dem deutschen Ausbauziel für die Erneuerbaren bis 2030.
- Verdoppelung der Modernisierungsquote im Gebäudebestand auf 2 %
- Steigerung des Anteils Erneuerbarer Energien im Verkehrssektor von 6 % auf 24 %
- nur begrenzter Anstieg bei der Nutzung von Bioenergie aus Biomasseabfällen- und Rückständen sowie dem nachhaltigen Anbau von Energiepflanzen
- Nochmaliges Absenken der Flottenverbräuche bei Fahrzeugen
- Absenkung der CO2-Emissionen aus der Industrie um 25 % ggü. 2015
- Verringerung von anderen Treibhausgasemissionen um 35 % ggü. 2015 z. B. durch verbesserte landwirtschaftliche Prozesse (Düngemittel, Präzisionslandwirtschaft)
- Landnutzung (LULUCF): CO2-Senke an Land soll vergrößert und wiederhergestellt werden, um das Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2050 erreichen zu können.
Ausgestaltungsmöglichkeiten im EU-Emissionshandel
Für den EU-Emissionshandel untersucht die Kommission mehrere Ausgestaltungsmöglichkeiten, konkrete Vorschläge sollen bis Juni 2021 folgen. Die Optionen umfassen zum Beispiel:
- den bestehenden EU-Emissionshandel auf die Sektoren Gebäude und Verkehr auszuweiten oder ein eigenes EU-Emissionshandelssystem für diese Sektoren einzuführen. In Betracht kommt auch alternativ eine Verpflichtung für die Mitgliedsstaaten, ein eigenes nationales Handelssystem, einzuführen, wie es ja derzeit in Deutschland der Fall ist. In jedem Fall spricht sich die Kommission deutlich für eine Ausweitung der CO2-Bepreisung aus
- den Seeverkehr innerhalb der EU in das bestehende EU-Emissionshandelssystem einzubeziehen sowie die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten für den Luftverkehr weiter einzuschränken.
- im bestehenden EU-Emissionshandel den linearen Kürzungsfaktor über 2,2 % p. a. hinaus zu erhöhen, und
- ein CO2-Grenzausgleichssystem einzuführen, um die Abwanderung betroffener Industrien in Länder mit weniger ambitionierten CO2-Reduktionszielen zu vermeiden (Carbon Leakage), das in Einklang mit den Regeln der Welthandelsorganisation steht.
Weitere Maßnahmenvorschläge
Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF):
Stärker angereizt werden soll auch der Sektor Land- und Forstwirtschaft, um diesen als CO2-Senke zu erhalten und auszubauen. Die Kommission kündigt an, hierzu u. a. einen eigenen Zertifizierungsstandard für Bindung von Kohlenstoff (in natürlichen Senken, aber auch durch technische Maßnahmen) entwickeln zu wollen.
- CO2-Emissionen und CO2-Senken aus LULUCF sollen vollständig in das EU-Treibhausgas-Ziel integriert werden.
- Nicht-CO2-Emissionen aus der Landwirtschaft werden ebenfalls explizit angesprochen. Dies betrifft N2O-Emissionen durch Düngung und CH4-Emissionen aus der Viehhaltung.
Kontrovers diskutiert wird bereits der Vorschlag natürliche CO2-Senken zur Zielerreichung anzurechnen. Umweltverbände argumentieren, dass dies zu einer Verwässerung des Ziels führen würde. Auf der anderen Seite werden so eventuell zögerliche Staaten ins Boot geholt und der Weg für eine Zielanhebung auf -55 % in den bevorstehenden Verhandlungen im EU-Parlament und dem Ministerrat geebnet.
Aus unserer Sicht ist eine Einbeziehung nicht nur sinnvoll, sondern geboten, weil das Ziel der Treibhausgasneutralität nicht erreicht werden kann, ohne v. a. natürliche Senken in der Land- und Forstwirtschaft zu stärken.
Weitere Initiativen und Regularien mit hoher Bedeutung für den Klimaschutz
Hier können insbesondere genannt werden:
- die Fortentwicklung der Beihilferegelungen: Einerseits mit dem Ziel, dass die Planbarkeit für Investitionen verbessert wird, andererseits ist erkennbar, dass auch mehr Gegenleistungen für den Erhalt von Beihilfen gefordert werden. Zum Beispiel durch mehr verpflichtende Energieaudits und den Nachweis von Effizienzsteigerungen.
- der Aktionsplan Kreislaufwirtschaft
- die EU-Digitalstrategie (Reduktion des Stromverbrauchs und von Treibhausgasen im IKT-Sektor – Informations- und Kommunikationssektor)
- das umfangreiche Regulierungspaket zu „Sustainable Finance“, mit dem klimafreundliche Investitionen unterstützt und klimaschädliche Investitionen erschwert werden.
- Last, but not least ist auf den Ausbau der Förderlandschaft hinzuweisen, zum Beispiel über den Innovationsfonds.
Darüber hinaus soll eine ehrgeizigere EU-Strategie zur Anpassung an den Klimawandel erarbeitet werden.
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