Klimapolitik ist hoch politisch. Das ist nur logisch, schließlich formuliert die UN-Klimapolitik eine globale Transformationsagenda. Der anstehende Wandel stellt alle vor fundamentale Fragen, von allgemein sozio-ökonomisch bis individuell. Dabei sind die Herausforderungen und Interessen an den Verhandlungen höchst ungleich verteilt. Dieses dritte Briefing zur COP27 in Sharm stellt die Frage nach den wiederkehrenden Knackpunkten und Konfliktlinien, welche die COP-Ergebnisse bestimmen. Was sind die Treiber und Stolpersteine des internationalen Klimaschutzes?
Vorwort zur Kernfunktionsweise des Übereinkommens von Paris
In Sharm waren viele Themen mit einem wahrnehmbaren Fokus auf Gerechtigkeit und faire Lastenteilung auf der Agenda. Für eine afrikanische COP wirkt das vielleicht selbstverständlich. Darüber hinaus ist aber diese normative Orientierung auch in der Systematik des Übereinkommens von Paris (PA) und unter der Klimarahmenkonvention selbst (UNFCCC) angelegt, wie wir im Weiteren zeigen werden. Dasselbe gilt für die Mechanik von Paris.
Im Kern verpflichten sich Staaten unter dem PA zu Transparenz in Sachen Klimaschutz (Minderung, Anpassung und internationale Finanzierung). Sie prüfen diese Anstrengungen und Fortschritte gemeinsam und passen die Maßnahmen auf dieser Basis an. Aktuell läuft der erste Review-Prozess (Global Stocktake). Die Ergebnisse werden im nächsten Jahr auf der COP28 prominentes Thema sein. Bis 2025 sollen die Staaten dann ihre Ziele verschärfen, um doch noch die gemeinsamen Temperatur- und Resilienzziele zu erreichen. Die Übersicht unten zeigt den Charakter des Übereinkommens mit diesen drei wesentlichen Mechanismen.
Abb.: Logik des Paris Agreement, eigene Darstellung auf Basis von Bodle et al (2016)
Drei fundamentale Konfliktlinien im Aufriss
Die Kenntnisse zum Stand der globalen Klimamaßnahmen sind gut. Der Transparenzmechanismus funktioniert. Aber der Ambitionsmechanismus des PA hakt: Es fehlt an ambitionierten Verpflichtungen und vor allem an konkreter Umsetzung. Wenn wir das Offensichtliche außen vor lassen, u. a. die verzögernden Effekte von Covid, der russische Angriffskrieg oder die Komplexität der Klimaverhandlungen insgesamt (siehe Advents-Analyse 1) - was sind dann die Gründe hierfür? Eine einfache politikwissenschaftliche Antwort dazu wäre: die Verhandlungen sind geprägt von nationalen Interessen. Hier sind drei zentrale Konfliktlinien dazu.
Zweiteilung: Industrie- vs. Entwicklungsländer
Es gibt seit der Verabschiedung der Klimarahmenkonvention 1992 eine Zweiteilung der Welt in Entwicklungs- und Schwellenländer bzw. Industriestaaten (sog. Annex I Staaten). Auch das PA spiegelt diese Zweiteilung wider, wenn es in Art. 2(2) von „gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und jeweiligen Fähigkeiten angesichts der unterschiedlichen nationalen Gegebenheiten“ spricht. Das vergisst man in der Paris-Welt gerne, weil sich doch alle Staaten gleichermaßen Ziele setzen. Aber diese unterscheiden sich unter anderem im Ambitionsniveau. Unter dem Kyoto-Protokoll waren nur Annex-I-Staaten zu Minderungen verpflichtet.
Diese common but differentiated responsibilities (CBDR) sind bis heute ein gewichtiges Politikum geblieben. In Sharm war gerade die Frage, ob China in den neuen Loss and Damage-Fonds mit einzahlen soll, eine gewichtige. Die USA, die EU und viele weitere Staaten sehen heute in China (aus unserer Sicht zu Recht) kein Entwicklungsland mehr. Als größter Emittent und Wirtschaftsmacht soll sich Peking an den Lasten beteiligen. Tatsächlich ist das 1,5°-Ziel ohne massiv verstärkte chinesische Anstrengungen nicht erreichbar.
Viele der entscheidenden Verhandlungspositionen werden von Staatengruppen gemeinsam vorgetragen, die sich entlang der Einteilung von 1992 gebildet haben. So ist China Teil der G77-Gruppe, die Interessen des globalen Südens vertritt. Immerhin: Während China zwar weiter auch für sich auf dem Sonderstatus besteht, ist es doch „freiwillig“ bereit, andere ärmere Staaten prinzipiell zu unterstützen.
Konkurrenz: Anpassung vs. Minderung
Mit den Ergebnissen von Sharm ist das Missverhältnis zwischen Minderungsagenda und Anpassungsagenda etwas kleiner geworden. Das Interesse an beiden Bausteinen ist unter den Staaten ungleich verteilt: Es gibt Länder am Verhandlungstisch, die buchstäblich vor dem Untergang stehen. Und solche, die aus ökonomischen Interessen ihre fossilen Energieverkäufe verteidigen – gegen die Transformationsagenda. Die nun per Loss and Damage-Fonds konzeptionell vorbereiteten zusätzlichen Mittelflüsse werden den vulnerabelsten Ländern zugutekommen und diese Interessen stärker berücksichtigen. Zudem komplettiert dieser Baustein der Klimafinanzierung die allgemeine Kostenstruktur: Je weniger Erfolg die Welt beim Temperaturziel hat, desto höher schlagen die Anpassungs- und Schadenskompensationskosten zu Buche. Dabei ist das Verhältnis der Kosten keineswegs proportional: Diese Umstände hat bereits 2006 der Stern-Bericht aufgezeigt – aber bislang regiert das eher kurzfristige Denken.
Die Verquickung von Minderung und Anpassung in den Verhandlungsergebnissen ist für sich problematisch: So waren bereits unter dem Kyoto-Protokoll für die Umsetzung von Minderungsprojekten Abgaben zugunsten von Anpassungsmaßnahmen in Entwicklungsländern fällig. Diese sog. share-of-proceeds (2 % auf die Erträge der Projekte) hat Klimaschutz weltweit etwas verteuert und hat das Potenzial, auch zwischenstaatliche Aktivitäten zu verkomplizieren. Auch für künftige Artikel 6-Projekte unter dem PA wird eine derartige Abgabe fällig werden.
Gas-/Öl-Förderländer vs. Importländer
Die Energietransformation bedeutet für zentrale Förderländer von Öl und Gas eine Gefährdung ihres Geschäftsmodells. Für wichtige Bezugsländer fossiler Energien liefert der Fokus auf Erneuerbare aus eigenen Quellen dagegen eine mehrfache Dividende. Über 80 progressive Staaten, angeführt von Indien, wollten in Sharm einen Ausstiegsbeschluss aus Öl und Gas erreichen. Das scheiterte gerade am Widerstand afrikanischer Staaten, die lukrative Gasverkäufe umsetzen wollen. Deutschland hat in der Wahrnehmung anderer mit seiner offensiven Gaseinkaufstour (nationales Interesse: schnelle Absicherung des Energiebedarfs) hierzu sicherlich beigetragen haben. In der Konsequenz hat die ägyptische Präsidentschaft das Thema erst gar nicht auf die Agenda gesetzt.
Die Widerstände der Förderländer zur Minderungsagenda sind vielfältig. Dazu gehört das Argument arabischer Länder, wonach es bei Klimaschutz um Emissionsminderungen und nicht um Förderbegrenzungen von Öl und Gas gehen soll. Im Manteltext von Sharm wird gar von der Nutzung von „low-emissions energies“ als Lösung gesprochen – was aus Sicht vieler eben nur Gas meinen kann und viel Widerspruch im Nachgang zu den Beschlüssen ausgelöst hat. Vorstöße aus der anderen Richtung, etwa auch des UN-Generalsekretärs Guterres, waren dagegen erfolglos.
Zusammenfassung und Ausblick
Wer sich für die umstrittensten Themen der Verhandlungen interessiert, sollte einen Blick in die Auswertung der Textentwürfe werfen: Die Anzahl der geklammerten (=umstrittenen) Textinhalte bzw. die Anzahl der Textoptionen macht die Problemstellen deutlich: Im ersten Entwurf zu Minderungen waren auf 9 Seiten 310 Textabschnitte geklammert, bei 28 Textoptionen.
Abb.: “Analysis of text drafts at COP27”, Quelle: Climate Brief 2022
Aktuell in dieser Woche laufen in Montreal Verhandlungen für einen Handlungsrahmen zu Biodiversität 2030 an. Dieser Verhandlungsprozess unter der sogenannten Biodiversitätskonvention ist eng mit den UNFCCC-Klimaverhandlungen verknüpft. Der Manteltext von Sharm erwähnt allerdings diese mittlerweile 15. COP mit keinem Wort, was für sich schon ein Ergebnis ist. Die umstrittenen Positionen in Montreal betreffen bekannte Frage aus dem Klimakontext, z.B. ob Schutzzonen ausgewiesen werden sollen oder wie man den Umgang mit sog. Nature-based-solutions regelt.
Im nächsten Briefing schauen wir auf die Lösungsseite: Dazu gehören Ansätze wie Klima-Clubs, bilaterale Verhandlungsformate zwischen wesentlichen Emittenten aber auch Lösungsansätze aus dem Paket der Kooperationsansätze, die das PA vorsieht – insbesondere zu Artikel 6.
Zum Autor und der klimapolitischen Adventsreihe
In den Wochen bis Weihnachten senden wir Ihnen vier Analysen zu.. Lassen Sie sich überraschen. Als Themen gesetzt sind: Einblicke in den Sachstand zur Anpassungsagenda (Adaptation, PA Art. 7). Wir befassen uns auch mit den Aussichten für die natürlichen Bindungsprojekte unter den Paris-Mechanismen (PA Art. 6) und die Bedeutung von Senken generell (PA Art. 5).
Wenn wir uns den großen Konfliktlinien in den Verhandlungen und den wichtigen Feldern für Kooperation abseits des UNFCCC-Rahmens zuwenden: Was bedeutet das für die Dynamik der internationalen Klimapolitik und Klimaschutz insgesamt? Und wir widmen uns Integritätsfragen in unseren Märkten heute: Was müssen Unternehmen bei der Auswahl von Instrumenten und Claims beachten, wenn Sie Ihr Dekarbonisierungsprogramm nachhaltig auf den Weg bringen und das angemessen kommunizieren wollen?
Hier auf der FutureCamp-Website finden Sie bereits:
COP27 in Sharm El-Sheik: eine erste Einschätzung nach der ersten Verhandlungswoche
Adventsreihe zur COP27 - Analyse 1: die Abschlusserklärung von Sharm El-Sheik
Daniel Scholz ist Teil des Politik-Analyseteams von FutureCamp. Er beobachtet seit vielen Jahren politische Entwicklungen inklusive der internationalen Klimakonferenzen.
Daniels erste Klimakonferenz war 2008 in Posen. Damals war die klimapolitische Dynamik ebenfalls hoch. Im Folgejahr auf der wichtigen COP15 in Kopenhagen war FutureCamp dann mit einem Team von mehr als 10 Personen vor Ort! Dennoch wurde Kopenhagen zur Enttäuschung für den globalen Klimaschutz. Seither hat sich viel an den Themen und Rahmenbedingen der Verhandlungen verändert. Nicht zuletzt ist aber auch der Politikprozess insgesamt wesentlich stabiler geworden.
Für Daniel bleibt Kopenhagen dennoch positiv in Erinnerung: Er hat dort drei Wochen vor Konferenzstart geheiratet. Nicht nur die zwei Kinder aus dieser Ehe sind seither sein „Copenhagen-pledge“ für mehr Klimaschutz geworden.
Dieser Newsletter gibt persönliche Einordnungen von Daniel Scholz aus dem Politik-Analyseteam von FutureCamp wieder. Diese sind nicht unbedingt deckungsgleich mit der Lesart oder Interpretation der Ergebnisse des Analyse-Teams von FutureCamp insgesamt.
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