Klimapolitik verlangt einen Blick auf das große Ganze. Sie ist fordernd und hinkt gleichzeitig doch wissenschaftlichen Notwendigkeiten (IPCC-Reports) und öffentlichen Erwartungen hinterher. Im dritten Advents-Briefing wenden wir den Blick den Lösungen zu, die globalen Klimaschutz insgesamt voranbringen dürften. Dabei geht es um Lösungen aus den Verhandlungen selbst. Ein wichtiger Baustein in der Kyoto-Architektur waren die Minderungsprojekte, die Technologien auch in entlegene Regionen gebracht haben. Artikel 6 des Paris Agreement (PA) enthält die aktuellen Rahmenbedingungen für solche Projekte. Und wir schauen auf Kooperationen auch jenseits des UN-Prozesses.
Vorwort zum Technologie-Fokus in diesem Briefing
Die Minderungsagenda im Klimaschutz baut massiv auf technologische Lösungen. Sind sie schon vorhanden, so müssen sie möglichst schnell marktfähig gemacht und skaliert werden. Die Grafik unten ist ein Auszug aus dem dritten Bericht des Weltklimarats IPCC. Sie zeigt heute verfügbare Technologien, die bis 2030 massive Minderungen bewirken können.
Abb.: IPCC AR6, Extract from Figure SPM.7 | Overview of mitigation options and their estimated ranges of costs and potentials in 2030.
Diese neuen Technologien brauchen ein förderliches Umfeld. Legislativinitiativen in Deutschland wie die vorgeschlagene „Richtlinie zur Förderung von klimaneutralen Produktionsverfahren in der Industrie durch Klimaschutzverträge“ schaffen dies. FutureCamp Kollegen haben mit Basisstudien zu diesem Vorschlag beigetragen. Auch hat die Europäische Kommission eine „Europäischen Plattform für Transformationstechnologien – Clean Tech Europe“ angekündigt.
Letztlich geht es bei all dem vor allem um viel Geld, denn Anwendungen etwa um die entstehende Wasserstoffwirtschaft in Deutschland müssen auch mit öffentlichen Mitteln angeschoben werden. Zahlen der Internationalen Energieagentur (IEA) belegen, dass diese Investitionen nun global auf den Weg gebracht werden: So wurden mehr als 1,2 Billionen USD seit Beginn der Covid-19-Krise für den Ausbau klimafreundlicher Energien bereitgestellt. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat dies zusätzlich beschleunigt. Allein der Inflation Reduction Act in den USA mobilisiert in den nächsten Jahren 370 Mrd. USD für Investitionsförderungen in saubere Energien. Die EU ist mit Beiträgen aus EU-Programmen wie REPower und zahlreiche nationale Initiativen global ein Schwergewicht (37 % am globalen Anteil). Wie wir im Folgenden beschreiben, greifen diese nationalen Anstrengungen durch Einbettung und Koordinationen international aus.
Initiativen und Instrumente unter den UN
Kooperative Ansätze: Marktinstrumente nach Artikel 6 PA
In der Kyoto-Welt haben gerade auch marktbasierte Instrumte und der verbundene Handel mit Emissionszertifikaten zur Verbreitung von technologischen Lösungen beigetragen. Nun in der Paris-Welt müssen diese Instrumente neu ausgestaltet werden. Das sog. Rulebook von Glasgow im letzten Jahr hat uns dazu einen großem Schritt nach vorne gebracht. Sharm hingegen lieferte aus den zunehmend technischen Verhandlungen heraus nur begrenzte Forschritte. Die meisten Inhalte wurden aus dem finalen Entscheidungstext gestrichen bzw. auf die COP28 vertagt. Dennoch gibt es auch hier eine Reihe bemerkenswerter Ergebnisse.
Zu Artikel 6.4 PA wird ein zentrales UN-Projektinstrument entstehen, das eine Art Clean Development Mechanism (CDM) fortführen wird. In Sharm wurde nun mit dem Begriff „mitigation contribution A6.4ERs“ eine ergänzende Kategorie eingeführt, über die externe Finanzierungbeiträge zur Umsetzung eines staatlichen Minderungsziels (Nationally determined contribution, NDC) kreditiert werden können. Wir kennen diesen Umgang auch aus der Praxis im freiwilligen Markt: Finanzielle Beiträge werden zertifiziert, die Minderungen selbst jedoch verbleiben im Inventar des Gastlandes.
Um die künftigen Vorgaben für handelbare Minderungen aus „autorisierten“ Minderungsleistungen wurde in Sharm weiter gerungen. Auch zum Umgang mit „removals“ und der Kreditierung für „Emissionsvermeidung“ blicken nun alle in Richtung COP28. Das eingesetzte Aufsichtsorgang („Supervisory body“) soll zu diesen Fragen zustimmungsfähige Vorschläge erarbeiten.
Aktuell läuft auch die Ausarbeitung der Überführungsregeln von Projekten aus dem CDM in das neue A6.4-Instrument. Sobald diese Arbeiten abgeschlossen sind, könnten erste Projektregistrierungen schon im kommenden Jahr möglich werden. Für die Nutzung dieser Zertifikate zu „traditionellen“ Kompensationszwecken wird interssant sein, ob im konkreten Fall Anforderungen zur Anwendung von „Corresponding Adjustments“ greifen oder nicht.
Das Instrument unter Artikel 6.2 PA wird den zwischenstaatlichen Handel von „internationally traded outcomes“ (ITMOs) ermöglichen. Hoch umstritten in den Verhandlungen bleiben Fragen zur Offenlegung und Überwachung solcher bilateraler Handelsgeschäfte und die diskutierte Möglichkeit, die es Staaten erlaubt, einmal gemachte Transaktionen rückgängig machen. Immerhin: Im Anhang V zum Entscheidungstext findet sich eine Gliederung der Datenpunkte, die Staaten in einem Erstbericht zu ihren geplanten Transfers liefern sollen. Dies erleichtert aktuell die Anbahnung bilateraler Transaktionen.
Viele Staaten bereiten sich aktuell auf die kooperativen Ansätze vor: So hat die Schweiz am Rande der COP mit Ghana und der Dominikanischen Republik bereits erste Verträge für ITMO Transaktionen abgeschlossen. Auch Singapur hat entsprechende Pläne. China wiederum erwägt sein nationales Emissionshandelssystem – das größte der Welt – auch für Artikel-6 Zertifikate zu öffnen. Bislang gilt die Offset-Quote von 5 % nur für nationale Projektzertifikate (CCERs). China könnte damit künftig zu einem wichtigen Nachfragemarkt für Zertifikate werden. Weniger überraschend, aber auch interessant ist das Entstehen von Einkaufs- oder Verkaufsgemeinschaften für Zertifikate. Auch hierin zeigt sich die wachsende Relevanz von Artikel 6. Europa, das seine Ziele bislang rein regional erfüllen möchte, setzt zu Artikel 6 bislang keine entsprechenden Impulse – Impulse zu Art. 6 aus der EU kommen de facto bisher aus dem freiwilligen Markt.
Verstärkte Technologiekooperation mit Entwicklungsländern
Die Unterstützung der Entwicklungsländer ist ein wichtiger Baustein unter dem PA: Mit dem Technology Executive Committee (TEC) und dem Climate Technology Centre and Network (CTCN) gibt es zwei Gremien, die auf der COP in Sharm ein gemeinsames Programm zur Förderung technischer Lösungen in Entwicklungsländern gestartet haben – mit dem Fokus auf Sektoren mit großem Emissionsminderungspotential. Sowohl die USA, Japan als auch Deutschland und Europa unterstützen diese Initiativen finanziell.
Zur internationalen Kooperation abseits des UN-Rahmens
Klima- und Entwicklungspartnerschaften
Klimaschutz wird auch durch Partnerschaften auf unterschiedlichen Ebenen unterstützt. Das 20 Mrd. USD schwere multilaterale Unterstützungspaket zur Energietransformation in Indonesien ist ein Paradebeispiel. Es wurde auch offiziell als kooperativer Ansatz im Manteltext von Sharm anerkannt (siehe Analyse 1). Daneben unterstützen Akteure wie Deutschland bilateral auch weitere Partnerschaften. Die sog. Klima- und Entwicklungspartnerschaft zwischen Deutschland und Kenia soll das afrikanische Land zum regionalen Vorreiter in der Produktion von grünem Wasserstoff und erneuerbaren Energien machen.
Klima-Klubs als Plattform für industrielle Dekarbonisierung
Letzte Woche haben die G7 unter deutscher Präsidentschaft die Satzung für ihren auf der COP in Sharm umworbenen Klima-Klub beschlossen, der internationale Vorreiter im Klimaschutz zusammenbringen soll. Das Konzept: Die Klub-Mitglieder entwickeln bereits ab 2023 gemeinsam Standards und Rahmenbedingungen, um ambitionierte Engagements für grüne Technologien und Leitmärkte abzusichern. Der Zusammenschluss soll so internationale Wettbewerbsnachteile für die verbundenen kapitalintensiven Investitionen und (anfänglich) teureren Produktionsverfahren reduzieren und das Risiko von Standortverlagerungen abmildern. Sowohl die Europäer aber auch die US-Amerikaner setzen auf den Klub. Das Interim-Sekretariat des Klubs stellen OECD bzw. IEA.
Grenzausgleich als Drohkulisse
Im Weihnachtsduktus ist der Klima-Klub so etwas wie die frohe Botschaft. Er soll allen, auch ambitionierten Schwellenländer offenstehen. Im Tandem mit dem Grenzausgleich könnte daraus ein schlagkräftiges Konzept werden. In Bayern würden wir sagen: Dieser Krampus verleiht dem kooperativen Nikolaus erst die Glaubwürdigkeit.
Die EU hat ebenfalls in dieser Woche ihre vorläufigen Beschlüsse zum bereits 2023 startenden Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) gefasst. Dieser wird dafür sorgen, dass für den Import einer Auswahl emissionsintensiver Produktionsgüter in die EU (u. a. Zement, Düngemittel, Eisen und Stahl, Wasserstoff sowie Aluminium) eine CO2-Steuer fällig wird – sofern die Exportländer nicht in vergleichbarer Weise ihre Produkte mit CO2-Kosten belegen. Bis 2030 sollen alle EU ETS-Sektoren einbezogen werden. Einer der noch offenen Punkte im Vorschlag: Wann wechselt das Instrument aus der Einführungsphase mit reinen Berichtspflichten in die Umsetzungsphase?
Zusammenfassung und Ausblick
Trotz kontroverser Diskussion um zahlreiche technischen Definitionen und Prozeduren für die Umsetzung von Maßnahmen unter Artikel 6, wächst die Unterstützung für die Ansätze und damit auch die Wahrscheinlichkeit, dass bald die verbliebenen Punkte geklärt werden können. Solange bleibt für viele gerade privatwirtschaftliche Akteure der freiwillige Markt die Brückenlösung.
Die Entwicklungen um Kooperationen zu Klimapolitik in ihre ganzen Breite zeigen, dass die Politikansätze diverser, unübersichtlicher und doch zugleich greifbarer werden. Einerseits ergänzen die bilateralen und multilateralen Initiativen den UN-Ansatz. Auch umschiffen sie manches in die UN-Verhandlungen eingeschriebene Problem, etwa das zum (versuchten) perpetuierten Status von China als Entwicklungsland (siehe Analyse 2). Zudem sorgen die zwischenstaatlichen Austäusche jenseits der UN-Prozesses aber auch praktisch dafür, dass eben das gegenseitige Prüfen und das sich-in-die-Pflicht-Nehmen (eine Kernlogik des PA) langsam konkret wird und Zähne bekommt. Die Gefahr dabei sind mögliche Konfrontationen und schädliche Abschottungstendenzen. Es ist daher wichtig, wie die Staaten hierzu agieren, wenn so die Verhandlungsbasis neu austariert wird. Die Hoffnung ist, dass der entstehende Rahmen es über direktere Verhandlungen erlaubt, Interessen und Differenzen besser für die nötige Problemlösung auszugleichen.
In unserem Weihnachts-Finish schauen wir im abschließenden Briefing 4 auf das, was sich global in Sachen unternehmerischem Klimaschutz, Unternehmens-Reporting und Investor-Agenda tut. Wo stehen wir hier gerade mit Blick auf Transparenz und Integrität?
24.01.2023 | WEBINAR | Was für Unternehmen wichtig wird – Ausblick 2023 (13:30-16:00)
Gerne möchten wir Sie auf unser Webinar "Was für Unternehmen wichtig wird – Ausblick 2023" aufmerksam machen: Die klimapolitische Dynamik der letzten Jahre ist trotz der Corona-Krise und der dramatischen Entwicklungen aufgrund des russischen Angriffskrieges beispiellos hoch. Selbst für Expert:innen ist es kaum noch möglich, sich schnell einen Überblick zu verschaffen. Mit unserem Webinar Ausblick 2023 wagen wir die Tour de Force durch die nationale und internationale Klimapolitik: UNFCCC-Prozess nach COP 27, CBAM, Klimaclubs, Reformprozess Fit-for-55, Sustainable Finance - CSRD und EFRS, CDP, SBTi, Claims.
Weitere Informationen, die Agenda und eine Möglichkeit zur Anmeldung finden Sie auf unserer Website unter Termine.
Autor:
Tags: